Transfeindliche Strategien

Gegner der Unterstützung und Behandlung von transgeschlechtlichen Minderjährigen behaupten, dass sie dem gesunden Menschenverstand, soliden wissenschaftlichen Prinzipien und medizinischer Ethik folgen würden (Leveille, 2023). Sie richten sich explizit an ein Laienpublikum und an politische Entscheidungsträger. Dazu nutzen sie ein Ökosystem von Think Tanks, Institutionen, Politiker*innen, öffentlichen Intellektuellen, konservativen Feministinnen und anderen genderkritischen Aktivisten. Einige dieser Akteure bestreiten ausdrücklich die bloße Existenz von transgeschlechtlichen Menschen und das Konzept einer „Geschlechtsidentität“ an sich, während andere nicht bestreiten, dass zumindest einige Jugendliche trans sind.

Beiden Gruppen zu eigen ist die Strategie, auf vielen Ebenen Zweifel zu produzieren. Sie wollen eine möglichst große Unsicherheit über angebliche „Risiken“ herstellen. Die Behandlung von trans Jugendlichen soll “unethisch” erscheinen. Künstliche Zweifel mit “wissenschaftlicher” Argumentation zu säen ist nicht ungewöhnlich. Ähnliche Strategien werden verfolgt, um Adoptionsrechte für queere Eltern zu verhindern, Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern, Sexarbeiter*innen anzugreifen oder COVID-19-Präventionsmaßnahmen und Impfen sowie eben die geschlechtsbejahende Behandlung, besonders für Minderjährige, zu bekämpfen.

Um Zweifel herzustellen wird versucht, eine plausibel erscheinende Leugnung von Belegen und Beweisen zugunsten der Behandlung transgeschlechtlicher Menschen zu produzieren. Anstatt offensichtliche Unwahrheiten zu verbreiten, stellen sie vorhandene wissenschaftliche Beweise falsch dar, lassen den Schlüsselkontext weg und wenden selektiv kritische Standards an. Sie versuchen es so erscheinen zu lassen, dass Jugendliche, die geschlechtsbejahende Hilfe suchen, in Wirklichkeit durch diese Behandlung geschädigt würden, anstatt davon zu profitieren. Dabei nutzen sie das rhetorische Argument, dass Teile von Transitionsmaßnahmen irreversible körperliche Veränderungen hervorrufen.

Unterstützung erfährt diese Strategie durch Personen, die selber trans sind oder sich dafür gehalten haben. Sie nähren Zweifel, ob Jugendliche, die sich Unterstützung zur Transition wünschen, tatsächlich Transgender sind. Sie wären aufgrund der Pubertät oder „Vulnerabilitäten“ wie Autismus oder Depression nicht in der Lage, Aussagen darüber zu machen, welches Geschlecht sie haben oder eine wirksame Zustimmung zu einer Behandlung zu geben. Ihre trans Geschlechtlichkeit wäre eine vorübergehende Phase, der sie entwachsen würden oder sie “wandele” sich in eine Homosexualität.

In diesem Kontext tummeln sich “Sachverständige”, die in der Mehrzahl nichts mit der Behandlung transgeschlechtlicher Kinder zu tun haben. Diese behaupten, dass der wissenschaftliche Konsens und eine breitere evidente Gewissheit fehlen würden und damit strenge Gatekeeping-Anforderungen gerechtfertigt wären. Hinter solchen Argumenten stehen aber auch Überzeugungen, dass Transitionen angesichts möglicher Risiken und des angeblichen Mangels an Vorteilen im Erwachsenenalter, nach Möglichkeit verhindert werdende sollten. Einige gehen so weit, dass sie behaupten, es gäbe eine „Transgender-Behandlungsindustrie“ und sogar eine geheime Verschwörung. Es gehört zu den langfristigen Zielen, dass trans freundliche Behandler*innen in Verlegenheit gebracht, öffentlich gedemütigt und gnadenlos verklagt werden sollen.

Grundstrategie von diesen Sachverständigen ist aber, Zweifel zu erzeugen. Jugendliche sind für sie eine unverhältnismäßig stark „gefährdete“ Bevölkerungsgruppe. Diese würden aufgrund alltäglicher Situationen, wie Fernsehkonsum oder der Interaktion mit sozialen Medien, vielfältige psychische Schäden davontragen. Unter diesen Gruppen gäbe eine angebliche „Überrepräsentation“ von Geschlechtsdysphorie.

Dabei müssen sie sich gar nicht die Mühe machen, gegen die Existenz von trans Kindern zu argumentieren. Diese Sachverständigen verwenden eine “besorgte” Doppelmoral, um Zweifel zu begründen. Wenn sie Transitionsmaßnahmen in Frage stellen, verwenden sie “kritische” Argumentation und viel Liebe zum Detail, wenn sie stark veraltete Modelle und Theorien und spekulative Meinungen benutzen, als wären sie etablierte, unbestreitbare Fakten. Der Nebeneffekt dieser Doppelmoral ist, dass, wenn die Ergebnisse einer Studie Transitionen unterstützen könnten, diese Sachverständigen oft alle kritischen Aspekte herausarbeiten, um sie zu diskreditieren. Wenn es allerdings eine entfernte Chance gibt, dass unerwünschte Nebenwirkungen auftreten könnten, wird dies als ausreichender Beweis für Schäden behandelt, um ein Verbot zu rechtfertigen.

Darüber hinaus argumentieren sie auf der Grundlage von Spekulationen, Meinungen und Anekdoten unkritisch für eine “hinterfragende” Psychotherapie, die darauf abzielt, Jugendliche daran zu hindern, im Erwachsenenalter Transgender zu sein. Besonders auffällig ist, dass sie den Begriff „Konversionstherapie“ vermeiden. Gleichzeitig versuchen sie, die Konversionstherapie gegen Homosexuelle von der “hinterfragenden” Psychotherapie bei trans Kindern zu unterscheiden. Obwohl diese darauf abzielt, die Geschlechtsidentität von trans Kindern zu ändern. Im Gegensatz zu Transitionsmaßnahmen ist für diese „Experten“ für die “hinterfragende” Psychotherapie kein Nachweis der Wirksamkeit erforderlich. Von den eklatanten Rechtsbrüchen gegenüber berufsethischen Fragestellungen für Psychotherapeuten ganz zu schweigen.

Allianzen mit Radikalfeministinnen, Anti-Trans-Elternaktivisten, Anti-Trans-Parteien verfolgen kurzfristig die Strategie, Homosexuelle von der queeren, besonders der trans Community zu trennen und zu diesem Zweck untereinander Allianzen zu vermitteln. Ob diese Netzwerke es anerkennen oder nicht, ihre Ausrichtung in den Zielen mit der christlichen Rechten kommt diesen zugute. Frauenrechte, Kinderrechte, queere und trans Rechte werden massiv angegriffen und zurück gedrängt. 

Es fließt Geld in Influencer-Projekte, in Propaganda, in Radfemgruppen, Bewegungen und universitäre Projekte. Es findet konseqent der Aufbau einer transfeindlichen Gegenöffentlichkeit statt. Damit verbunden ist die Schwächung der Demokratie, das bedeutet Gremien und Politik anzweifeln, das Verfassungsgericht diskreditieren, andere Meinungen zurückdrängen, Meldeportale angehen, polizeiliche Arbeit behindern und öffentlich-rechtliche Medien bekämpfen.

Weiterlesen: Radikalfeminismus

Leveille, L. (12. 12. 2023). MANUFACTURING THE DOUBT THAT FUELS THE NETWORK. Abgerufen am 30.12.2023 von https://www.splcenter.org/captain/disinformation

 

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