„Liberales Hamburg?
Vom Ende der Homosexuellenverfolgung zum Selbstbestimmungsrecht“
Sehr geehrte Frau Senatorin Anna Gallina,
sehr geerhter Herr Präsident Dr. Tully
sehr geehrter Herr Prof. Grünberger
und sehr geehrte Gäste
ich spreche hier für die Deutsche Gesellschaft für Trans* und Intergeschlechtlichkeit und als Betroffene
Ich habe, als 1981 das Transsexuellen Gesetz in Kraft trat, es als Befreiung begrüßt. Es ermöglichte mir einen legalen Weg zur Transition. Als ich 1976 als 14jähriges trans Mädchen nachts im Rock durch meinen Stadtteil lief, war mir klar, dass es für mich als Lebensperspektive nur die Sexarbeit geben würde. Niemals hätte ich geglaubt, dass ich eines Tages als approbierte Psychologin und Vorsitzende einer Bundesvereinigung hier auf dieser Veranstaltung sprechen könnte.
In Deutschland haben von 1985 bis 2022 bisher insgesamt 38.535 Personen aller Geschlechter ihre Einträge mit dem alten Transsexuellengesetz geändert (Bundesamt für Justiz, 2024).
Wenn wir diese Zahl in Relation zu den 42.827.044 Frauen setzen, die im Juni 2023 in Deutschland lebten (Statistisches Bundesamt, 2023), lässt sich erkennen, dass der Anteil aller trans Personen der letzten 37 Jahre nur 0,09% zu den Frauen beträgt. Diese Relation zeigt, wie absurd die Diskussion um das jetzt in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz geführt wird, mit einem herbei Fantasieren von „Gefahren“, die von dieser kleinen Gruppe transgeschlechtlicher Menschen für Frauen und deren Räume ausgehen würden.
Lassen Sie mich bitte auf 2 Aspekte des Transsexuellengesetzes näher eingehen. Das sind die Zwangsscheidungen, die erst 2008 vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurden und die Zwangssterilisationen, die erst 2011 aufgehoben wurden.
Beides hat mich unmittelbar betroffen, denn das waren die Voraussetzungen, damit ich 1987 meinen Vornamen und meinen Personenstand ändern konnte und legal als die Frau, die ich bin leben konnte. Ich musste 1985 meine Familie mit den damals 3 und 2 jährigen Kindern verlassen, um durch das Trennungsjahr 1986 die Zwangsscheidung vollziehen zu lassen. Nachdem ich zuvor versuchte mir 2 mal das Leben zu nehmen, war die geschlechtsangleichende Operation 1986 überlebensnotwendig aber juristisch bleibt sie eine Zwangssterilisation.
Die Scheidungen wurden als notwendig erachtet, damit keine gleichgeschlechtlichen Ehen entstanden und es sollte im Besonderen verhindert werden, dass ein Mann mit einem Mann verheiratet sein könne, da der sich damit gemäß § 175 StGB strafbar gemacht hätte (Bundesverfassungsgericht, 2011).
Mit der dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit sollte die vom Geschlecht abhängige Zuordnung im Zusammenleben der Gesellschaft gewahrt bleiben. Insbesondere sollte ausgeschlossen werden, dass rechtlich dem männlichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder gebären und rechtlich dem weiblichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder zeugen können.
Schweden nahm 1972, mit der Schaffung des Gesetzes über die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in bestimmten Fällen, die Vorreiterrolle in der Gesetzgebung ein. (TXpedia, o.J.). Damals galt das Sterilisationsgesetz in Schweden, dass erst 1976 aufgehoben wurde (Clees, 1997)[1].
In Deutschland wurde 1933 während der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verabschiedet, das die Zwangssterilisation von Personen anordnete. Zwischen 1933 und 1945 wurden ca. 400.000 Menschen zwangsweise sterilisiert, davon überwiegend Frauen und Mädchen (Weibernetz, 2024). Dr. Lotte Albers, meine Kinderärztin, tötete im Rahmen der Euthanasie die meisten Kinder am Kinderkrankenhaus Rothenburgsort (KKR) in Hamburg, mindestens 14 (Babel, 2021).
Das Gesetz wurde vom Alliierten Kontrollrat nicht aufgehoben, sondern nur dispensiert. Erst 1968 wurde es von der Bundesrepublik Deutschland für ungültig erklärt (Clees, 1997). Die Zwangssterilisation an transgeschlechtlichen Menschen wurden erst 2011 in Deutschland und 2013 in Schweden abgeschafft (Queer.de, 2018).
Derzeit werden etwa 100 Anträge pro Jahr auf eine Sterilisation für einwilligungsunfähige Personen gestellt. Laut einer Statistik des Bundesjustizministeriums wurden 2016 23 Anträge genehmigt, Immerhin wird in Deutschland alle 14 Tage ein Mensch zwangssterilisiert.
Kommen wir nun zu der Grafik. Die letzten validen Zahlen stammen aus dem Jahr 2016 mit 2.079 geschlechtszuweisende Eingriffen an nicht einwilligungsfähigen, intergeschlechtlichen Kindern zwischen 0-9 Jahren (Teitge, 2019). Hingegen wurden nur 21 Jugendliche geschlechtsangleichend operiert die transgeschlechtlich sind, allerdings auf ihren ausdrücklichen Wunsch und im einwilligungsfähigen Alter (Radtke, 2024).
Sowohl Intergeschlechtliche Menschen Deutschland e.V. als auch die dgti gehen davon aus, dass sich an der Zahl trotz der Gesetzesverschärfung 2021[2] grundsätzlich nichts geändert hat und in Deutschland ca. 5 Kinder jeden Tag genitalkorrigierend operiert werden und in der Folge teilweise auch zwangssterilisiert werden.
Was passiert also mit diesen Zahlen, wenn der öffentliche Druck gegen geschlechtliche Vielfalt zunimmt, wie durch die jüngsten Beschlüsse zum Genderverbot an Schulen wie in Bayern oder Schleswig-Holstein? Der Druck auf Eltern wächst, die intergeschlechtlichen Kinder in das binäre System operieren zu lassen, gestützt auf einen vielfach wissenschaftlichen und durch das Bundesverfassungsgericht widerlegten biologischen Geschlechtsbegriff (Bundesverfassungsgericht, 2017). Mit dem Selbstbestimmungsgesetz hat er allerdings mit dem § 6 wieder Einzug in Gesetzeslage bekommen[3].
Unter der aktuellen Fassung des Grundgesetzes konnten der diskriminierende Paragraph 175 und das Transsexuellengesetz existieren. Sexuell und geschlechtlich vielfältige Menschen sind in diesem Land eine kleine Minderheit und wir wurden und werden bisher nur unzureichend durch das Grundgesetz geschützt. Aus diesem Grund muss der Artikel 3, Absatz 3 Grundgesetz erweitert werden um den Schutz der sexuellen und geschlechtlichen Identität! (Grundgesetz für Alle, 2024).
Dieser Festakt gemahnt uns, hinzusehen, wenn Unrecht geschieht. Wir müssen heute die Grundlagen legen, damit Menschen die sexuell und geschlechtlich vielfältig sind sicher und für alle Zeit geschützt werden können.
Meine Damen und Herren, meine Community kann bunt, laut und unbequem sein aber eines können wir nicht, wir können uns nicht selber schützen. Das kann nur Recht und Gesetz, das können nur Sie tun.
Ich danke Ihnen.
Quellen
Babel, A. (2021, Oktober 1). Lotte Albers | kindermord. https://andreasbabel.wixsite.com/kindermord/lotte-albers
Bourdet, K. (2012, Januar 24). Zwangssterilisation ist eine große Sache in Schweden. Vice. https://www.vice.com/de/article/nnky4q/zwangssterilisation-schweden
Bundesministerium der Justiz. (2021, Mai 12). Gesetz zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen. Bundesministerium der Justiz. https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/2020_Verbot_OP_Geschlechtsaenderung_Kind.html
Bundesverfassungsgericht. (2017, Oktober 10). Bundesverfassungsgericht—Entscheidungen—Personenstandsrecht muss weiteren positiven Geschlechtseintrag zulassen. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/10/rs20171010_1bvr201916.html
Bundesverfassungsgericht, 1 Senat. (2011, Januar 11). Bundesverfassungsgericht—Entscheidungen—Unvereinbarkeit von § 8 Abs 1 Nr 3, Nr 4 TSG (Transsexuellengesetz—Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen) mit Art 2 Abs 1, Abs 2 GG iVm Art 1 Abs 1 GG, soweit homosexuelle Transsexuelle an der Eingehung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft mittelbar gehindert werden (de) [Gerichtsentscheidung]. bundesverfassungsgericht.de; Bundesverfassungsgericht. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2011/01/rs20110111_1bvr329507.html
Clees, E. (1997, Oktober 3). Zwangssterilisationen in Skandinavien: Weitverbreitete Ideologie der Eugenik. Deutsches Ärzteblatt. https://www.aerzteblatt.de/archiv/7893/Zwangssterilisationen-in-Skandinavien-Weitverbreitete-Ideologie-der-Eugenik
Grundgesetz für Alle. (2024, Mai 23). GRUNDGESETZ FÜR ALLE – Der Appell. http://511174742.swh.strato-hosting.eu/Der-Appell/
Queer.de. (2018, März 28). Schweden entschädigt als weltweit erstes Land Trans-Personen. queer.de. https://www.queer.de/detail.php?article_id=30878
Teitge, S. (2019, April 23). Wenn Ärzte über das Geschlecht entscheiden – KATAPULT-Magazin. https://katapult-magazin.de/de/artikel/wenn-aerzte-ueber-das-geschlecht-entscheiden
TXpedia. (unbekannt). TXpedia—Entstehung des Transsexuellengesetzes (TSG). TXpedia. https://www.txkoeln.de/infothek/lexikon/tsg-entstehung.htm
Weibernetz. (2024, Mai 15). (Zwangs-)Sterilisation—Weibernetz e.V. https://www.weibernetz.de/wig/zwangs-sterilisation.html
Anmerkungen
[1] Zwischen 1935 und 1976 wurden in Schweden rund 62.000 Menschen zwangsweise sterilisiert, zu über 90% waren Frauen betroffen.
[2] Mit dem Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung von 2021 ist nur eine Behandlung eines nicht einwilligungsfähigen Kindes verboten, wenn dieser Eingriff allein in der Absicht erfolgt, das körperliche Erscheinungsbild des Kindes an das des männlichen oder des weiblichen Geschlechts anzugleichen. Sterilisationen sind ohne Genehmigung des Familiengerichts nach wie vor möglich, wenn der operative Eingriff zur Abwehr einer Gefahr für das Leben oder für die Gesundheit des Kindes erforderlich ist und nicht bis zur Erteilung einer Genehmigung aufgeschoben werden kann (Bundesministerium der Justiz, 2021).
[3] § 6 (2) Zugang zu Einrichtungen und Räumen sowie die Teilnahme an Veranstaltungen
(3) Die Bewertung sportlicher Leistungen kann unabhängig von dem aktuellen Geschlechtseintrag geregelt werden.
(4) allen gesundheitsbezogenen Maßnahmen oder Leistungen