Es gibt in dem grundsätzlichen Umgang mit trans Geschlechtlichkeit einen relevanten fachlichen Denkfehler. Es ist die Idee vom „Geschlechtswechsel“ oder der „Geschlechtsumwandlung“. Darauf beruhen die binären Setzungen der mds-Richtlinie. Sie beeinflussen die sich darauf stützenden Behandlungsansätze und den Begutachtungsprozess. Sie implizieren Erwartungen bei Behandelnden und Begutachteten an Lebensläufe, Indikationskriterien, Rollenerwartungen, Sexualität, Passing und viele weitere Faktoren, die mit „richtig“ und „falsch“ gelabelt werden. Es gibt einen bewussten und unbewussten Druck, dem binären System zu entsprechen, obwohl das möglicherweise gar nicht passend ist.
Der Weg zum eigenen Geschlecht ist selten gradlinig, sondern für die meisten trans Menschen mit Irrungen, Versuchen und Umwegen verbunden. Deshalb ist Detransition ein wichtiges Thema, also ob es ein Anliegen war, die Geschlechtsangleichung oder Teile davon rückgängig zu machen. Transition wird nicht als gradliniger Prozess verstanden und das wird in der Beratung besonders berücksichtigt. Abbrüche und Pausen sind ausdrücklich erwünscht. Denn nichts ist fataler, als wenn von therapeutischer Seite binäre Transitionen eingefordert und forciert werden.
Es gibt für Deutschland keine öffentlichen Zahlen zur Detransition (Wilken, 2022). Trotzdem oder vielleicht sogar deshalb, geistert die Frage des „Bereuens“ der Transition wie ein Schreckgespenst durch die mediale Berichterstattung. Seit 2019 war für 14 Menschen Detransition ein Anliegen in der Beratung (Kost, 2023). Das entspricht einem Anteil von 1% und ist vergleichbar mit den Ergebnissen einer Untersuchung von Rückabwicklungen über das Transsexuellengesetz im Zeitraum von 2005-2014 (Weitzel, 2021). Die dortige Quote ergab 0,43% Rückabwicklungen.
Von 14 detrans Personen waren 5 trans Männer, von denen 4 zurück zu Frauen und 1 zu nicht binär detransitionierten. 9 Personen waren trans Frauen, von denen nur eine zurück zum Mann detransitionierten und 89% ihren geschlechtlichen Status nicht in die Binarität kategorisierten. Das Verhältnis der Geschlechter beträgt 1,8 trans Frauen zu 1 trans Mann, es sind also eher die trans Frauen, die detransitionieren.
Der Altersdurchschnitt betrug bei den trans Männern 30 Jahre und liegt 7 Jahre hinter den 24 Jahren, mit denen im Schnitt mit der Transition begonnen wurde. Die trans Frauen detransitionieren im Schnitt mit 39 Jahren, das liegt ebenfalls 7 Jahre nach den 31 Jahren Transitionsbeginn.
Eine aktuelle Studie zeigt, dass 94% der trans Kinder, die sehr früh transitionieren, auch nach einem Zeitraum von 5 Jahren nach ihrer sozialen Transition bei ihrer Aussage bleiben, dass ihnen das falsche Geschlecht bei Geburt zugewiesen wurde (Olson, Durwood, Horton, Gallagher, & Devor, 2022). Nur 2,5% kehren zum Zuweisungsgeschlecht zurück, 3,5% identifizieren sich als nicht-binär und 1,3% sind zunächst nicht-binär, dann cis und letztlich binär trans. Die These, dass der überwiegende Anteil von sich geschlechtsdivers einordnenden Kinder, nach der Pubertät homosexuell würden, ist schlicht falsch.
Eine der größten Analysen zum Thema Detransition, mit Daten aus dem U.S. Transgender Survey, ergab, dass 8% Phasen von Detransitionen auf ihrem Weg erlebten (Turban, Loo, Almazan, & Keuroghlian, 2021). Die Gründe dafür lagen bei 82,5% an externen Faktoren, wie Druck durch die Familie und gesellschaftliche Stigmatisierung. Für den kleineren Teil, 15,9 % der Befragten, waren es innere Faktoren, darunter Schwankungen der Geschlechtsidentität oder Unsicherheiten.
Die Veränderungsdynamik zur Detransition ist also bei Menschen, die sehr früh transitionieren leicht erhöht mit 2,5%, als wenn sie später transitionieren mit 1%. Für die praktische Arbeit hat das keine Auswirkungen, weil es sich um absolute Einzelfälle in Deutschland handelt.
Weiterlesen: Radikalfeminismus
Literaturverzeichnis
Kost, C. (2023). Geschlechter- und Altersverteilung bei Transsexualität, 4Be 2019-2022 (N=1.370). Hamburg: Therapiehilfe gGmbH.
Olson, K., Durwood, L., Horton, R., Gallagher, N., & Devor, A. (04. 05 2022). Gender Identity 5 Years After Social Transition. Pediatrics. Abgerufen am 28. 05 2022 von https://doi.org/10.1542/peds.2021-056082
Turban, J., Loo, S., Almazan, A., & Keuroghlian, A. (31. 03 2021). Factors Leading to „Detransition“ Among Transgender and Gender Diverse People in the United States: A Mixed-Methods Analysis. LGBT Health, 8(4)(May-Jun 2021), S. 273-280. doi:10.1089/lgbt.2020.0437
Weitzel, P. (2021). Ist Detransition ein Thema? Frankfurt: dgti. Abgerufen am 28. 05 2022 von https://www.facebook.com/dgtiev/posts/pfbid02KYLwGD8PqTqqph9mYEp3U6JoHqSndcgBEP4wgnHtAmezDDoPRinLpBpswPFYj7XJl
Wilken, J. (28. 09 2022). dgti.org. Abgerufen am 23. 02 2023 von Detransition, Fakten und Studien: https://dgti.org/2022/09/28/jenny-wilken-detransition-fakten-und-studien-9-2-2022/