Alice Schwarzer, Chantal Louis: Transsexualität

Mit den auf dem Titelblatt aufgeworfenen Fragen: „Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? hält sich das Buch nicht lange auf. Der Common Sense erfolgt im Stil von René Durand, dem Betreiber des Hamburger Erotik-Theaters Salambo, der schon in den 70ern des letzten Jahrhunderts feststellte, mit Penis = Mann, ohne Penis = Frau.

Gestritten wird wenig in dem Buch, stattdessen gibt es auf 217 Seiten Klagen und Gejammer über trans Menschen. Ganz besonders wurmt es offenbar, wenn trans Menschen Klischees bemühen. Dass trans Sein die Erfahrung eines Mangels ist und Klischees manchmal die einzige Möglichkeit sind, überhaupt das eigene Geschlecht auszudrücken oder den Gutachtern zu gefallen, findet keine Gnade. Auch das Motiv, Homosexualität sei „echt“ und trans sein sei „falsch“, wird in unterschiedlichen Varianten dargeboten. Trans tauchen sogar als Mitautorinnen auf, entweder als Gescheiterte, genüßlich zelebriert, oder als Kronzeuginnen gegen sich selbst, als Beispiel für internalisierte Transphobie.

Auf Zahlen und Fakten wird weitestgehend verzichtet. Auch an vergleichbare Schriften aus dem englischsprachigen Raum, wie von Shrier, Soh, Stock oder der berüchtigten Raymond kann das Buch nicht anknüpfen. Stattdessen werden viele Verschwörungsmythen aufgetragen. Vor allem psychisch Kranke und Jugendliche werden als Verwirrte und Verführte dargestellt, die als unschuldige Opfer einem Wahn verfallen, der „Trans-Mode“. Das Buch lässt an keiner Stelle erkennen, dass es respektvoll mit Menschen umgeht und sie als Subjekte ernst nimmt. Und sei es auch nur, Menschen in ihren Irrtümern anzuerkennen, wenn man sich denn auf das Niveau der Autorinnen einlassen will.

Das Buch recycelt im Wesentlichen die bereits in der EMMA im Rahmen deren anti-trans Kampagne veröffentlichten Artikel. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch versucht am Ende des Buches, sich selber frei zu sprechen. So als wenn es sich hier nicht um die boshafte Attacke auf eine marginalisierte Gruppe Menschen handelt. Dabei entgeht dem Verlag, dass auf Seite 211 für Genspect und SEGM Werbung gemacht wird. Weltweit agierende anti-trans Organisationen, mit dubiosen Finanziers und Verbindungen.

Das Buch reiht sich ein in Streitschriften, die begründen warum Frauen kein Wahlrecht haben dürfen, sich den Arbeitsplatz nicht selber aussuchen sollen, keinen Schwangerschaftsabbruch machen sollen, warum Lesben nicht auf Frauentoiletten dürfen oder Frauen für Sex kein Geld nehmen können. Wenn Alice Schwarzer sich in diesem Sinne einen Platz in der Geschichte des Feminismus sichern wollte, mit diesem Buch ist es ihr gelungen.

Wer Futter für seine Abneigung gegen das Anders sein und gegen Minderheiten braucht oder an der Selbstdemontage der Autorinnen teilhaben will, dem ist dieses Buch zum Lesen anempfohlen.

Schwarzer, A., Louis C. (2022). Transsexualität Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Eine Streitschrift. Kiepenheuer & Witsch. Köln.

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