Autogynophilie und ROGD (Rapid Onset Gender Dysphoria) sind frei erfundene Typologien von angeblichen psychischen „Krankheiten“. Sie gehören zum gerne benutzten Zitatenschatz des genderkritischen Aktivismus, der daran leicht zu identifizieren ist.
Der Psychologe Ray Blanchard entwickelte im Jahr 1989 Autogynophilie, um Transsexualität als abnorme sexuelle Neigung zu deklassifizieren (Blanchard, 1989). Er leugnete die Existenz von transgeschlechtlichen Menschen und konzeptualisierte sie als „normale“ Menschen, die vorgeben, etwas zu sein, was sie nicht sind. Dabei betrachtete er Homosexualität als von Natur aus „echt“ und trans als „gefälscht“. Er unterschied Homosexualität, die für ihn akzeptiert ist, von „kranken“ Formen der sexuellen Präferenz, wie sie im Diagnoseschlüssel ICD 10 F65 „Störungen der Sexualpräferenz“ abgebildet werden. Trans wäre für Blanchard eine abnorme sexuelle Neigung, als Fachbegriff eine Paraphilie.
Die patriarchale Gesellschaft ist besessen davon, trans Frauen zu sexualisieren. Als vermeintlicher Mann zur Frau zu werden, löst bei manchen Menschen zwanghafte Ideen und immer wiederkehrende Beschäftigung mit dem Thema aus. Es werden objektiv unwahrscheinliche Ereignisse konstruiert, durch die transgeschlechtliche Menschen der Gesellschaft Schaden bringen könnten. Deshalb fokussierte Blanchard seine Theorie auf trans Frauen. Von denen gäbe es zwei grundlegend unterschiedliche „Arten“, die er nach ihrer sexuellen Präferenz unterschied. Die eine Gruppe sei orientiert auf Männer und die andere Gruppe auf sich selbst.
- Die auf Männer orientierte Gruppe wären demnach homosexuelle Männer, die ihre Homosexualität durch die Transition zur Frau ausleben könnten.
- Die zweite Gruppe seien Männer, die durch die Fantasie, sie wären weiblich und/oder hätten einen weiblichen Körper sexuell erregt würden. Diese Fantasie hätten sie, weil sie durch ihre Heterosexualität dazu gebracht würden. Diese Männer litten unter einem „irregeleiteten heterosexuellen Sexualtrieb“, der sie dazu brächte, selbst Frauen zu werden. Blanchard nannte diesen angeblich fehlgeleiteten Sexualtrieb „Autogynophilie“.
Für ihn gibt es also
- „homosexuelle Transsexuelle“, eine trans Frau, die exklusiv auf Männer orientiert ist und
- „Autogynophile“, das wäre eine trans Frau, die nicht exklusiv auf Männer orientiert ist.
Autogynophilie ist für Blanchard eine eigene Kategorie für eine sexuelle Orientierung, für ihn allerdings ein pathologisches sexuelles Verlangen, also eine Paraphilie. Außerdem erkannte er darin die einzige Ursache jeder Geschlechtsdysphorie und des Wunsches nach Transition. Trans Frauen, die seiner These nicht entsprachen, betrachtete er als Lügnerinnen. Blanchard hat außerdem behauptet, dass das Gegenstück zu Autogynophilie, manchmal auch als „Autoandrophilie“ bezeichnet, nicht existiert.
Die US-amerikanische Biologin Julia Serano hat vielfach über die Mängel von Ray Blanchards Autogynophilietheorie geschrieben (Serano, 2019). Aufgrund dieser Mängel wurde Autogynophilie nie akzeptiert.
Bis heute gibt es neben Blanchard nur noch zwei US-amerikanische Psychologinnen, die unerschütterlich an dieser Typologie festhalten. Sie sind faktisch für die gesamte proautogynophilie akademische Literatur verantwortlich, die existiert. Es sind Anne Alexandra Lawrence, sie identifiziert sich selbst als autogynophile Transsexuelle (Lawrence, 2004) und John Michael Bailey (Bailey J. M., 2003). Er ist der Professor, der die Natur von „Gaydar-Signalen“ untersuchte. Diese „Signale“ sollen Informationen über die sexuelle Orientierung anderer Menschen übermitteln (Bailey, Rieger, Linsenmeier, Gygax, & Cisneros, 2008).
Nun müssen wir keine aktuellen Untersuchungen bemühen, um die Vielfalt von sexuellen Fantasien zu diskutieren. Zu ihnen gehören selbstverständlich Cross-Sex und Geschlechtsverkörperungsfantasien. Männer und Frauen träumen gleichermaßen von Crossdressing oder davon, den Körper mit jemandem anderen Geschlechts zu tauschen. Geschlechtsverkörperungsfantasien sind ziemlich häufig und können sich auf unseren Alltagskörper oder andere Körperformen, ein anderes Genitalbild oder eine andere Persönlichkeit orientieren. Am Ende geht es darum, sich selber als Frau sexy zu finden, aber nur bei trans Frauen wird es pathologisiert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Taxonomie und Ätiologie der Autogynophilie widerlegt wurden, die Wissenschaft hat sie nicht bestätigt. Eine damit vergleichbare rassistisch begründete Pseudowissenschaft ist die „Drapetomanie“. So wurde im 19. Jahrhundert der Drang von Sklaven, aus der Gefangenschaft zu fliehen, als psychische Krankheit bezeichnet. Wie ihre Vorgänger ist die Autogynophilietheorie ein historisches Artefakt.
Weiterlesen: Radikalfeminismus
- Bailey, J. M. (2003). The Man Who Would Be Queen: The Science of Gender-Bending and Transsexualism. Washington, DC: Joseph Henry Press.
- Bailey, J. M., Rieger, G., Linsenmeier, J., Gygax, L., & Cisneros, S. (2008). Dissecting “Gaydar”: Accuracy and the Role of Masculinity–Femininity. Archives of sexual behavior, 39, 124-40. doi:10.1007/s10508-008-9405-2
- Blanchard, P. R. (August 1989). The classification and labeling of nonhomosexual gender dysphorias. Archives of Sexual Behavior, S. 315–334.Blanchard, R. (Oktober 1989). The concept of autogynephilia and the typology of male gender dysphoria. Journal of Nervous and Mental Disease, S. 616–623.
- Lawrence, A. A. (2004). Autogynephilia: A Paraphilic Model of Gender Identity Disorder. Journal of Gay and Lesbian Psychotherapy, S. 69–87.
- Serano, J. (15. Oktober 2019). Making Sense of Autogynephilia Debates. Von Julia Serano: https://juliaserano.medium.com/making-sense-of-autogynephilia-debates-73d9051e88d3 abgerufen 03.03.2022