Alltagstest, aber wie?

Aus dem TS-Journal. 2/1985, Seite 16-18: Alltagstest, aber wie?

In einer Situation, in der die Hormone faktisch noch nicht angeschlagen haben, in den Alltagstest einzusteigen, ist ein Spiel mit dem Leben. Als ich damit begann, konnte ich nicht mehr zurück. Nicht nur, weil ich mich in aller Augen unglaubwürdig gemacht hätte. Ich konnte und wollte meine alte Rolle nicht mehr annehmen, zu lange hatte ich unter ihr gelitten. Alte Probleme habe ich gegen neue eingetauscht. Mein Leben ist schwieriger geworden, anstrengender. Es ist aber, nach außen hin, nicht mehr die Lüge, die es war. Ich fühle mich jetzt „richtig“. 

Als wirkliches Problem hat sich viel stärker mein Körper herausgestellt. Die Widersprüche sind unerträglich. Ich habe starke Minderwertigkeitsgefühle den anderen Frauen gegenüber. Solange ich noch so leben muß, werde ich mich nicht integriert fühlen. Die meisten anderen Probleme des Alltagstest entstehen in meinem Kopf, Resultate meiner Angst – wie die Schlußszene zeigt, die Mädchen nehmen in Wirklichkeit kaum Notiz von mir.  Es gibt Probleme mit Jugendlichen in der Nachbarschaft. Vor allem mit Leuten, die meine alte Rolle kennen und nicht mit mir sprechen können.
Zum Praktischen muß ich sagen, daß ich mich weigere, mich wieder zu verkleiden. Von meinem Busen zeige ich, was ich habe (so gut wie gar nichts). Den Bartschatten schminke ich über. Meine Kleidung ist der Großstadt modisch anpepasst (wozu durchaus auch Jeans gehören). Bis zu einem gewissen Grad habe ich mich eingelebt. Die Panikstimmung der ersten Tage ist fast verflogen. Es gibt Ansätze von Normalität.

Es fällt mir schwer, bei der Bearbeitung dieses Artikels, diese Szenen noch einmal mitzuerleben. Dabei herausgekommen ist ein Fragment der ersten sechs Tage. Die Generalprobe und die ersten zwei Tage im Betrieb.

Donnerstag

Jetzt zum ersten Mal richtigen Alltagstest, mit den roten Schuhen und dem gelben Pullover. Bin ziemlich aufgeregt, aber zum Bahnhof bin ich ganz gut gekommen. Ich habe mich weder geschminkt, noch habe ich mir einen „falschen“ Busen gemacht. Ein paar Haare kurz wegrasiert. Wenn’s klappt, wär’s echt Klasse.
In der S-Bahn setzt sich eine Frau in meinem Alter neben mich. Völlig gleichgültig. Wirft mir nach einer Weile ein paar kurze Blicke zu, strickt ungerührt weiter. Etwas später fragt eine ältere Frau, ob wir beide nicht Platz machen könnten, drei Frauen auf einer Bank. Sonst hat noch niemand sonderlich geguckt. Beim Fahrkartenautomaten machen mir zwei Typen Platz, kurzer Blick. Ich habe noch ein sehr flaues Gefühl, aber die Reaktionen sind gelassen. Bisher läuft es sehr gut. Die Frauen beim Arzt ließen sich nichts anmerken. Ich muß noch wegen eines Rezeptes eine Weile warten. Beim Rausgehen hält mir ein älterer Herr die Tür auf, komisch.
In der Apotheke lächele ich die Frau an, die mich nicht einmal verabschiedet, so irritiert ist sie von dem Namen auf dem Rezept. Auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz, vor Karstadt, nichts besonderes passiert.

Das ist einer der glücklichsten Momente in meinem Leben. Ich bin endlich ich, ohne Verkleidung und trotz 1,86 m. Wenn ich auch noch etwas ängstlich bin, fühle ich mich doch sehr erleichtert.
Ich sehe zwar immer noch „männliche“ Züge an mir, bin wohl zu selbstkritisch. Obwohl, das dicke Ende kann noch kommen. Kaufe mir rote Ohrstecker, ohne Probleme. Schaue mir Frauenbücher an.
Eine Frau geht mit einem „Oh!“ an mir vorbei und als ich ihr nachsehe, blickt sie mich an, als wenn sie mich mit jemanden verwechselt hätte. Mein Selbstvertrauen ist jedenfalls erschüttert. Fühle mich auch wieder mehr beobachtet.

Samstag

„Du siehst gut aus!“, damit verabschiedet sie mich und das tut mir sehr gut. Bartschatten leicht übergeschminkt, der ist nicht wegzuzupfen gewesen. Fühle mich wieder viel besser so.
Im Bus nach Planten und Blomen, Enten füttern, mit den Kindern. Keine Reaktionen. Die Leute kümmern sich nicht um mich. Wir gehen bei „Stilke“ am Schaufenster vorbei. Dahinter schaut ein Mann heraus, sieht mich und lenkt seinen Blick auf meine Beine, Männerblick! Auf die Frauentoilette traue ich mich noch nicht, nur nichts Überstürzen. Eigentlich läuft es zu glatt, ich gewöhne mich hieran. Will es gar nicht mehr anders.

Sonntag

Es ist doch erstaunlich, die Leute wollen in mir die Frau sehen. Wir sind über den Jungfernstieg gegangen, zwischen hunderten von Sonntapsspaziergängern. Dann die Mönckebergstraße hoch und nicht eine Reaktion. Im Spiegel hätte ich x-mal den „Mann“ in mir gesehen, aber niemand kümmert sich um mich. Selbst auf dem S-Bahnhof, nichts. Bin immer noch sehr ängstlich. Hier auf der Schanze beobachten mich zwei Typen. Eine Frau mit Kind, geht zu ihrem Mann und berichtet, sie sehen zu mir. „Entlarvt“? Ansonsten langweilig. Fühle mich unsicher, elend. Bin genervt. Nun sitzen wir im Bus und nichts ist passiert, Normalität?

Das Foto entstand kurz nachdem mir der Kontakt zu meinen Kindern verboten wurde. Ein damals üblicher Umgang mit lesbischen und/oder trans Frauen.

Montag

Morgens gleich ein Mädchen an der Bushaltestelle, sieht mich an. Nein, doch nicht gleich zu Anfang. Als ich in den Bus einsteige, fühle ich mich angesehen. Es läuft eigentlich wie die letzten Tage auch, die Leute interessieren sich nicht für mich. Dafür bin ich reichlich nervös und habe Anpst. Sollte es zu einer „Panne“ kommen, breche ich das Ganze ab. Wenn diese quälende Unsicherheit nur nicht wäre, diese „FingerzeigeAngst“.

Thomas war der Erste, der mich so sah, guckte ganz schön. Kathi meinte, ob ich nicht einen „Schaden“ hätte und ob ich nicht auffalle, ich sehe so weiblich aus. Frank und Thorsten lachten lauthals, auch Christian und Andreas. Die Frauen guckten alle, blieben aber cool. Ich bin zum Ausbilder rein, er hat Verständnis und unterstützt mich vorbehaltlos.
Ich saß also auf einem Tisch, bestaunt von den Leuten, schwitzend und nervös. Eine ganze Weile. Bis ich mich entschließe und mich in eine Ecke setze und um Aufmerksamkeit bitte. Zuerst kommen sie nicht heran und brabbeln noch. Ich spreche schlicht, etwas mürrisch: ich bin transsexuell, in ärztlicher Behandlung, müsse den Alltagstest machen und möchte jetzt Cornelia genannt werden. Fragen würde ich mich stellen. Alles absolut still. Ich war alleine, sie warfen mir nur noch merkwürdige Blicke zu. Bis sich schließlich Sabine zu mir setzt und sich alles erklären lässt und mich ganz toll findet. Ich erkläre ihr alles, soweit sie fragte. Das ist sehr lieb. Kathi kommt zu mir, meint, das wäre wieder ein „Spleen“ von mir. Ich erkläre auch ihr soweit alles.
Traue mich nicht auf die Frauentoilette, kann aber auch nicht zu den Männern. Leide entsetzlich, quäle mich herum. Bin kaputt, genervt und warte ab. Sabine kämmt mir die Haare, Frauke unterhält sich mit mir. Ich ändere meine Stempelkarte.
Mit Frauke fahre ich in der S-Bahn zurück. Sie unterhält sich ganz ungezwungen mit mir. Sie meint, heute morgen habe sie mich fiir eine der Frauen aus der anderen Firma gehalten, ähnlich wie Sabine. Dass sie meinen Umstieg so ganz gut finde und daß sie meinen Mut bewundere. Es lief, im großen und ganzen sehr gut. Auch wenn die meisten an eine Marotte von mir glauben, haben sie hoffentlich begriffen, daß ich es ernst meine. Sie verhalten sich sehr zurückhaltend  und sehen darüber hinweg. Ich bin jedenfalls nicht ausgeschlossen worden, man reagiert auf mich.

Dienstag

Mein Selbstbewusstsein steht und fällt mit meinem Äußeren. Heute morgen habe ich das Gefühl, ich bekomme meinen Bartschatten nicht weggeschminkt. Ich will schon nicht los. Fühle mich entsetzlich unsicher. Stand nervös an der Bushaltestelle und fühle mich schrecklich beobachtet, als ich einsteige. Vor allem von einem jungen Mädchen mit ihrer Mutter. Von jungen Leuten fühle ich mich ohnehin ständig beobachtet.

Ein blöder Tag. Ich fühle mich schrecklich. Sabine meint, ich solle mich mit Rouge schminken. Frauke sagt, ich solle mich nicht so affektiert bewegen, das mache keine Frau. Ich bin fertig.
Sabine und Frauke sagen „Conny“, der Rest vermeidet es, mich mit Namen anzusprechen oder sagen „er“. Fühle mich sehr unsicher, bin müde, kaputt. Fühle mich nicht sehr wohl. Ich muß einen Bogen mit alten Namen ausstellen, Ätzkram. Ich habe keine Lust mehr.

In der S-Bahn nun auch noch drei Mädchen mir gegenüber . Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht steigt. Stelle mir vor, wie die über mich tuscheln und auf mich zeigen. Ich bin völlig fertig und will im Erdboden versinken. Es ist sehr warm, was mir sehr zu schaffen macht.
Es ist sehr schlimm, dass ich keinen Busen habe und ich überlege, ob ich nicht Fehler mache, weil ich eine mögliche „Entlarvung“ so erleichtere. Bin total mit Selbstzweifeln überfrachtet. Sah mich im Spiegel an, ob vielleicht Bartstoppeln durchschimmern, nicht mehr, als sonst auch. Was ich mich über diese Hitze ärgere. Mir läuft das Wasser runter, ich fühle mich „entdeckt“. Denke, ich werde ohnmächtig. Sie sitzen mir stumm gegenüber und ich sehe sie in meinem geistigen Auge sich gegenseitig zunicken, in Bezug auf mich. Ich stütze meinen Kopf in die Hand und kann nicht weiterschreiben. Aber als ich rausgehe, mühsam, sehen sie mir nicht einmal nach.
Im Bus fühle ich mich wieder beobachtet. Ich bin völlig fertig, fühle mich entrückt, weg. Obwohl es viel mehr Leute gibt, die nicht gucken, die mich durchgehen lassen, die zumindest so tun, fühle ich mich todunglücklich und bin müde und kaputt.

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