Trans und Alter

Veröffentlicht: Kost, C. (2018). Voices: Stories of Resilience. In Hardacker, C. & Ducheny, K. (Hrsg.),  Transgender and Gender Nonconforming Health and Aging. (S. 217f). Berlin: Springer. Der Artikel wurde von mir hier gekürzt veröffentlicht.

Mit 56 Jahren arbeite ich seit 24 Jahren als leitende Psychologin in einem Unternehmen der Suchtkrankenhilfe. Wir betreiben mehrere Kliniken und zahlreiche Beratungsstellen. Im Alter von 23 Jahren habe ich meine Transition begonnen und wurde ein Jahr später operiert. Seit 32 Jahren lebe ich in meinem Geschlecht, davon die meiste Zeit stealth.
Während der Transition musste meine Ehe wegen der geltenden Gesetze (TSG) beendet werden. Aus der Ehe habe ich zwei Kinder und mittlerweile 3 Enkelkinder.
Nach einem Zwangsouting gegenüber meinem heutigen Ehemann, habe ich im Alter von 54 Jahren wieder geheiratet und wir haben ein Pflegekind aufgenommen.

In den 80er Jahren war die Gruppe der Transsexuellen noch klein und diejenigen, die den ganzen Weg gingen waren noch weniger. Die Szene war geprägt durch die Frauen (amab). Deshalb ist die Gruppe der älteren Transsexuellen klein, deren Transition schon lange zurückliegt. Viele leben stealth und wollen keinen Kontakt zur Szene mehr. Unter den Älteren sind heute vor allem spät transitionierende Menschen öffentlich wahrnehmbar. Diese bringen die gesundheitlichen Themen mit, die für alle Transsexuelle am Anfang ihres Weges stehen.

Körper

Obwohl es heute möglich ist, wird den meisten Transsexuellen viel zu spät geholfen und sie müssen ihre Pubertät beenden. Zu meiner Zeit war eine Hilfe vor der Pubertät undenkbar und zu den lebenslangen Folgen gehören Dysphorien. Sie beziehen sich auf Körpergröße und –proportionen, Gesicht, Haare und Stimme. Da solche Phänomene für Frauen typisch sind, lassen sie sich im Rahmen von Selbstwahrnehmungsgruppen mit anderen (Cis)Frauen gut bearbeiten. Ganz verschwinden werden sie wohl nie. Die genitalangleichende Operation hat mein transsexuelles Wahrnehmen wirkungsvoll und endgültig beendet.

Der Bart wurde mit elektrischer Nadelepilation entfernt. Eine sehr schmerzhafte und langwierige Prozedur. Da ich stealth lebte, konnte ich die Termine nur in größeren Abständen machen, da das Gesicht sehr anschwoll und der Bart eine Mindestlänge brauchte. Die Krankenkasse versagte schließlich die Kostenzusage und ich muss mit den Bartresten bis heute leben.

Mit 22 Jahren bin ich an zwei Ärzte geraten, die mir die Transsexualität wegtherapieren wollten. Dass ich mich zwei Mal versuchte zu Suizidieren, hat seine Ursache in dem schweren Trauma der Konversionstherapie. Jede Art von nicht-unterstützenden Behandlungsmaßnahmen gehören verboten.

Erst nachdem ich diese Ärzte gewechselt hatte, bekam ich Hilfe und zum ersten Mal Hormone. Für mich ist die lebenslange Hormoneinnahme mit diesem Trauma verbunden. Hormone sind für mich die Erlaubnis zu leben und diese Erlaubnis muss ich mir regelmäßig im Jahr neu holen. Das führt mich fast immer an die Grenze zur Retraumatisierung.

Den Abschnitt Körper möchte ich damit abschließen, dass alt werden mit Transsexualität etwas ganz Normales hat. So habe ich eine Osteokleose von meiner Großmutter geerbt und sie kam unter dem Einfluss von Östrogenen zum Ausbruch. Weil sie nur die Frauen in meiner Familie befällt, wird sie für mich immer ein wunderbarer Beweis für meine biologische, weil genetische, Weiblichkeit jenseits von XY-Chromosomen sein.

Psyche

Transsexualität ist ein Generationenthema, sofern Kinder vorhanden sind. Kinder erleben ähnliche Diskriminierungen, wie ihre transsexuellen Eltern. Sie müssen sich mit dem Thema Outing auseinandersetzen und das setzt sich in die folgende Enkelgeneration fort. Für mich selber habe ich mein ganzes Leben ein und dasselbe Geschlecht, meine Angehörigen haben das als Geschlechtswechsel erlebt. Für mich sind die Begriffe Vater, Mutter, Großvater und Großmutter schwer zu fassen, für meine Kinder und Enkel ebenfalls. Es gibt also weitere Betroffene und andere Perspektiven.

Die Gesetze verlangen die Ehescheidung und die genitalangleichende Operation als Voraussetzung für die Vornamens- und Personenstandsänderung. Deshalb wurde meine Familie von Staats wegen zerstört und die Folgen ziehen sich mittlerweile in die dritte Generation. Vornamens- und Personenstandsänderungen sollten bei allen Institutionen auf Antrag unbürokratisch möglich sein. Allein das kann großes Leid bei Unbeteiligten und völlig unschuldigen Kindern verhindern.

Obwohl das Offenbahrungsverbot für Transsexuelle gilt, bin ich immer wieder zu Outings gezwungen. Vor allem in behördlichen Kontext werden alle Beteiligten in völlig unnötige und peinliche Situationen gezwungen. Für die Ehe war eine Abstammungsurkunde notwendig, die alle Änderungen enthielt. Bei jeder Rentenberatung ist ebenfalls eine Offenlegung meiner Lebensgeschichte notwendig. Menschen wie ich sind häufig in gesellschaftlichen Strukturen nicht vorgesehen.

Mein ganzes Leben lang wollte ich nicht transsexuell sein. Ich habe in meinen jungen Jahren wirklich alles versucht, um ein Mann zu sein. Als ich endlich verstanden habe, wer ich bin, wollte ich den Fehler „Mann“ ungeschehen machen. Ich habe immer mit der Angst des Outings gelebt. Viele meiner Lebensentscheidungen habe ich dieser Frage untergeordnet. Meine politische und berufliche Kariere habe ich bewusst begrenzt, weil ich keinem Menschen aus meiner Vergangenheit begegnen wollte. Die Bedeutung dieser Entscheidung bekam ich zu spüren, als ich trotzdem wegen meiner Transsexualität erpresst wurde. Mich hat das stealth leben von den Menschen in meinem engeren Umfeld entfernt. Am deutlichsten wurde es mit meinem Mann, dem ich 20 Jahre lang nichts über meine Transsexualität sagen konnte. Erst nach meinem Outing konnte ich Nähe zu ihm zulassen. Folglich verstehe ich meine dysphorischen Phasen im Alter als internalisierte Transphobie. Daraus den Umkehrschluss zu ziehen, wenn erst die Transphobie beseitigt ist, hätte ich mit meinem Körper leben können, ist falsch. Für mich ist es ganz einfach, wenn ich nicht als Frau leben kann, bin ich tot.

Dabei ist mein Leben am leichtesten und fühlt sich am richtigsten an, wenn ich einfach nur die Frau sein kann, die ich bin. Dass ich mein Leben der Hilfe anderer Menschen gewidmet habe, hat viel mit der Dankbarkeit zu tun, die ich gegenüber dieser Gesellschaft empfinde, die es mir gestattet hat, als Frau zu leben.

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