TDoR 2019 – Greta Bolligs Rede

Meine lieben Freunde,

Dieses Jahr treffen wir uns zum zweiten Mal hier in Hamburg, um den TDOR zu begehen. Wer vergangenes Jahr noch nicht dabei war, und auch sonst nicht informiert sein sollte was TDOR ist, hier eine kurze Erklärung.

TDOR steht für Transgender Day of Remembrance. Dieser Tag wird begangen, um den getöteten Opfern von Anti-Transgender Hass oder Vorurteilen, ein Denkmal zu setzen. Das Ereignis wird im November abgehalten, um die Künstlerin und Sängerin Rita Hester zu ehren, die am 28. November 1998 in Boston getötet wurde. Auch dieser Mord bleibt, wie die meisten anderen Anti-Transgender Morde, ungeklärt. Trotzdem ließen verschiedene Organisationen und Gruppen in den USA, den Fall nicht mehr in den Schubladen verschwinden. Denn dieser Mord rief das Web-Projekt „Erinnere Dich an unsere Toten“ ins Leben, und es wurde eine Mahnwache in San Francisco 1999 abgehalten.

Heute gedenken wir 331 Transgender Menschen, die seit dem 1. Oktober 2018 bis zum 30. September 2019 ermordet wurden. Das ist die offizielle Zahl, die von verschiedenen Organisationen herausgegeben wurde. Diese Zahl muss und will ich aber noch nach oben korrigieren, denn das hat mich besonders betroffen gemacht. Elf Jahre habe ich in Südamerika gelebt, und auch Mittelamerika extensiv bereist. Deshalb möchte ich den Mord an Jade Díaz erwähnen, eine der wichtigsten Trans Aktivistinnen in El Salvador, welcher erst vor kurzem bekannt wurde. Ich persönlich habe vorgestern davon erfahren. Sie wurde am 6. November tot aus einem Fluss geborgen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, um niemanden zu triggern. Als ich den spanischsprachigen Bericht gelesen habe, habe ich einfach nur geheult. Wenn man sich die Offizielle Liste durchsieht, ist das Grauen nicht mehr in Worte zu fassen.

331 bzw 332 sinnlose Morde im vergangenen Jahr. Es wird immer mehr. Die schrecklichen Zahlen steigen weiter an. Jedes Jahr. Sage und schreibe 3314 Morde in 74 verschiedenen Ländern seit Beginn der offiziell begonnenen Statistik von TGEU.Org seit dem 1. Januar 2008. Doch wir wissen, diese Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs, denn aus vielen Ländern gibt es überhaupt keine Meldungen. Aus ganz Afrika gibt nur Südafrika Daten an. Die Dunkelziffer ist also noch einmal um vieles höher. Die meisten Morde werden an Sexarbeiterinnen und Menschen mit nicht weißer Hautfarbe verübt. Da liegt die Zahl bei unfassbaren 61%!

Mich persönlich macht das einfach fassungslos. Wieviel Hass ist auf dieser Welt? Deshalb möchte ich auch keine Trauerrede mehr halten. Ich hätte jetzt salbungsvolle Worte wählen, und auf die Tränendrüsen drücken können. Doch ich möchte einfach nicht mehr nur still vor mich hin trauern. Ach wie schlimm ist das alles. Wir wissen, wie schlimm es ist. Nämlich viel zu schlimm, um es in Worte zu fassen. Ich möchte deshalb eine Rede halten, die Denkanstöße liefert. Da brennt ein Feuer in mir! Ich, wir alle, möchten nicht das nächste Opferlamm sein. Ich möchte meine Frustration herausschreien. Wir wollen uns wehren. Wir sollten dorthin gehen, wo andere noch nicht hingehen können. Das werde ich gleich auch konkretisieren. Denn so wie bisher kann es nicht weitergehen. Auch hier in Deutschland sind längst dunkle Wolken aufgezogen. Kahlgeschorene Männer in Springerstiefeln warten nur darauf, losgelassen zu werden. Wann gibt es das erste Transgender Mordopfer bei uns? Migranten werden schon gejagt. Politiker getötet. Wann sind wir dran?

Wenn ich schon von Politikern rede, die getötet werden, dann muss aber auch gesagt werden, dass diese verantwortlich dafür sind, dass wir eine institutionalisierte Diskriminierung erfahren. Denn das jetzige TSG, Abkürzung für Transsexuellengesetz, ist wie vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, ganz klar nicht dem Grundgesetz entsprechend.

Politiker, ihr marginalisiert und! Wir haben ein Recht auf Selbstbestimmung! Ich sage: Begutachtung überflüssig! Achtung reicht! Weg mit dem TSG! Das beinhaltet natürlich auch, dass die Namens- und Personenstandsänderung zu einem einfachen Verwaltungsakt wird, den man im Rathaus erledigen kann.

Ansonsten kommt es immer wieder vor, dass man bei allen möglichen Institutionen, sei es im Wartezimmer des Arztes, bei der Krankenkasse oder sonst wo, immer wieder mit seinem längst angelegten Namen aufgerufen wird.

Vor allen Dingen sollte die Krankenkasse sich auch an die Gesetzgebung halten, und sich nicht mit ihrem Medizinischen Dienst als Gott aufspielen, der über Wohl und Wehe entscheidet. Denn ohne dieses Gebahren der Ablehnung von geschlechtsangleichenden Operationen oder sonstigen Anträgen, würde die Suizidrate von Transgender Menschen eindeutig niedriger liegen.

Ich habe es in meiner Beratung schon erlebt, dass mich eine Frau anrief, die mit Suizid drohte, falls ich ihr nicht helfen könnte, da sie schon zwei Ablehnungen erfahren habe. Ich selbst bin sogar fünf Mal abgelehnt worden.

Auf das Thema Kirche will ich gar nicht zu sprechen kommen. Denn zumindest für die katholischen Entscheider, sind wir Persona Non grata. Was gerade für mich, da ich zehn Jahre Messdiener war, eine völlig unverständliche Politik ist.

Deshalb zurück zur wirklichen Politik. Eine dringliche Bitte haben! Gebt uns keine Sonderrechte, sondern einfach was im Grundgesetz steht. Artikel 2 Absatz 1: Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Artikel 3 Absatz 3: Niemand darf wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden. Noch einmal:Weg mit dem TSG! Gleiches Recht für alle!

Wo wir uns auch an die eigene Nase fassen müssen, ist die Tatsache, dass wir mit dem Thema Aufklärung offensiver umgehen müssen. Ich denke wir tun hier in Hamburg schon einiges, um aufzuklären. Als Beispiel möchte ich die kürzlich stattgefundene Hint Tagung erwähnen. Doch das ist nicht genug. Diese Tagung war nur für Betroffene wichtig und interessant. Wir müssen versuchen, eine breitere Öffentlichkeit für uns zu gewinnen. Wir sollten erreichen, dass zu solch einer Tagung nicht nur Betroffene kommen. Wir sollten uns in der Zukunft zusammensetzen, und darüber reden, wie wir das erreichen können. Auf jeden Fall müssen wir in die Offensive.

Die Jugend zu erreichen, und aufzuklären, ihnen beizubringen, dass wir keine Monster, kein Abschaum, kein Aussatz sind, das erscheint mir wichtig. Wenn wir das nicht tun, werden über kurz oder lang andere sie durch konstante Gehirnwäsche gegen uns aufbringen. Das haben die, wie wir alle wissen, schon mit unseren Eltern und Großeltern gemacht. Wir sollten die Jugend wissen lassen, das wir ganz das Gegenteil des Monsterklischees sind. Denn wir sind intelligent, lustig, gute und treue Freunde, und darüber hinaus sind wir hartnäckig. Wir geben alles, um unser Ziel zu erreichen. In der dritten Dezemberwoche halte ich zum Beispiel einen Vortrag an einer katholischen Schule. Die Lehrerin ist durch meine Rede im Schmidt Theater auf mich aufmerksam geworden. Ich stelle mir vor, dass wir mit verschiedenen Leuten ein Konzept erarbeiten, und das politisch vorstellen, um dieses dann hoffentlich in den Schulunterricht integrieren zu können. Lasst uns jetzt zur Trauer zurückkehren, und die Toten ehren, indem wir ihre Namen und das Land vorlesen. Nachdem wir das getan haben, sollten wir eine Schweigeminute einlegen. Ich danke allen, die hier sind. Wir sind alle wichtig.

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